Ehrlich gesagt zucke ich hier jedes mal innerlich ein wenig zusammen, wenn vom Begriff "Trieb" die Rede ist. Dieser Ansatz wird aus gutem Grund mittlerweile so gut wie gar nicht mehr verwendet. Das zugrunde liegende "hydraulische Modell" greift schlicht nicht, es ist um so vieles differenzierter dass man mit dem Triebgedanken mehr Unklarheiten und Verwirrung schafft als tatsächlich erklärt. Teile dieses Modells haben sich lediglich im Begriff der verschiedenen Motivationsarten erhalten.
So gesehen fällt diese ganze Kernfrage "Jagd- oder Hütetrieb" schon gewissermaßen unter den Begriff Thema verfehlt. Es ist überhaupt kein Trieb, sondern eine Präferenz für bestimmte Verhaltenssequenzen, die ihren Ursprung im Jagdverhalten haben und durch Selektion modifiziert wurden. Und zwar nicht nur in Bezug auf ihre jeweilige Ausprägung bzw. Gewichtung, sondern auch in Bezug auf die Auslösereize.
Das ist übrigens einer der Punkte, an denen sich die Schwächen des Triebmodells zeigen: Das ganze Verhalten ist nicht nur durch ein inneres Bedürfnis gesteuert, sondern auch durch verschiedene Reizkomponenten bevorzugt oder abgeschwächt auslösbar. Der optische Reiz, der einen typischen Windhund sofort reagieren lässt, interessiert einen typischen Bloodhound überhaupt nicht; der Geruch, der den Bloodhound laufen lässt bis zur Erschöpfung, geht am Windhund komplett vorbei. Bei beiden wird ihr Teil des Jagdverhaltens also durch ganz verschiedene Reize angestoßen. Bordercollies aus Hütelinien sind ein weiteres sehr deutliches Beispiel dafür, viele zucken selbst dann bei Schafen richtiggehend zusammen wenn sie nie vorher welche gesehen haben: Selektion auf eine bestimmte Kombination an Auslösereizen.
So gesehen macht es gar keinen Sinn, unterscheiden zu wollen ob das gezeigte Verhalten nun ausschließlich dem Jagd- oder Hütebereich zuzuordnen ist. Jedes dieser Verhalten hatte seinen Ursprung in den Jagdsequenzen, und jedes dieser Verhalten ist so weit modifiziert und spezialisiert worden, dass von der ursprünglichen Verhaltenskette nur noch ein überfunktionaler Bruchteil übrig geblieben und der Rest eher verkümmert ist. Je spezialisierter die Rasse ist, desto mehr. Ob der übrig gebliebene und betonte Verhaltensteil nun dem jagdlichen Einsatz oder der Hütearbeit dient - diese Unterscheidung guckt von einer ganz anderen Seite darauf, nämlich nach der Funktion für den Menschen. Die dem Hund im Grunde herzhaft egal ist.