Hi, weiß jetzt nix zur Vorgeschichte. Wie alt ist dein Hund und seit wann hast du ihn? Durfte er schon mal ohne Leine rennen? Oder hab ich das überlesen und wenn ja ist er jemals weg gewesen und kam gar nicht also nach langer Zeit nicht? Wenn ja wie lange war das? Woher kommen die vielen Ängste? Gibt es soviele Straßen und Autos? Ich finde das richtige Üben ist nun mal ohne Leine notwendig und wie bei allem Üben gehören da Rückschläge dazu bis es sitzt. Wochenlang an der Leine würden meine durchdrehen, diese freie Bewegung gerade auch mal ohne Kontrolle nach Spaß brauchen sie. Das merke ich schon nach einem Tag. Gibt es bei euch kein eingezäuntes Gelände mal zum Üben oder ein jagdfreies Gelände ohne Gefahren? Da würde ich zum Üben hinfahren.
Na, dann erkläre ich das Ganze für dich noch einmal.
Also:
Rico hat starken Jagdtrieb, und zwar insbesondere in Bezug auf Vögel. Das bedeutet, dass jeder Vogel (zumindet, sobald er sich bewegt) für ihn ein jagdauslösender Reiz ist. Selbst Vögel, die ich oben am Himmel gerade so erkennen kann, können ihn zu einer Hatz animieren. Und mit "Hatz" meine ich kein harmloses 50-Meter-Hinterherspringen. Sondern er rennt hinterher, solange er die Tiere noch irgendwie erahnen kann.
Eine Zeit lang war er fast immer an der Schleppleine, da ich keine andere Möglichkeit sehe, ohne den Einsatz tierschutzrelevanter Maßnahmen ein solides Antijagdtraining hinzubekommen. In dieser Zeit haben wir (neben anderen Übungen) Impulskontrolle am Wild trainiert. Vorstehen, Absitzen auf Entfernung, Abruf vom Wild usw. usf.
Das klappt inzwischen im Großen und Ganzen gut, sodass Rico durchaus frei laufen darf. Nicht immer und nicht überall und ich kann mir vorstellen, dass er immer ein Hund bleiben wird, bei dem ich je nach Umgebung und Tagesform werde abwägen müssen, ob er offline laufen kann oder nicht. Aber doch, er darf durchaus auch frei laufen. Nur bedeutet Freilauf für ihn permanente Impulskontrolle. Was Rehe und Co. angeht, so trifft man auf diese vielleicht einmal pro Spaziergang. Je nach Jahreszeit und Umgebung vielleicht auch tage-, wochen- oder monatelang gar nicht. Auf Vögel trifft man immer, und zwar pro Spaziergang mehrmals bis vielfach. Für Rico bedeutet dass, dass er pro Tag zigmal Situationen ausgesetzt ist, in denen der loshetzen möchte, sich aber beherrscht. Und hier kommt dieser Thread ins Spiel:
Vor einigen Wochen zeigte Rico eben vermehrt dieses Verhalten, dass er, sobald die Leine los war, mit Vollspeed wegrannte, ohne dass irgendwelches Wild zu sehen war (auch keine Vögel). Ich gehe davon aus, dass dies daherrührt, dass seine Selbstbeherrschung im Alltag häufig überstrapaziert wird. Ich habe ihn übrigens
nicht nach dem ersten Wegrennen sofort erschrocken für die nächsten Wochen in den Leinenknast verbannt, sondern habe das Ganze durchaus ein wenig laufen lassen, um einschätzen zu können, was da los ist. Rico rennt sich "in Rage". Anstatt aufzuhören, wenn das erste Pulver verschossen ist, wird er immer überreizter und rennt wieder und wieder los, egal ob er schon Schaum vor dem Maul hat und hechelt wie sonstwas. Ich denke nicht, dass es übertriebene Ängste sind, die mich dazu bewegen, das nicht unendlich lange laufen zu lassen. Die Sorge, dass er in diesen Situationen vors Auto läuft o. Ä., sind auch gar nicht das Hauptthema, denn er rennt in diesen Situationen (solange er nicht unterwegs auf Wild trifft) stur geradeaus, sodass ich durch die Wahl der Umgebung gut dafür sorgen kann, dass es nicht in absehbarer Entfernung auf eine Straße trofft. Das Problem ist vielmehr, dass mein Hund in diesen Momenten an seine körperlichen Grenzen und ggf. auch über diese hinausgehen würde. Und das kann nicht gut sein. Außerdem ist er in diesen "Außer-Rand-und-Band-Momenten" im Hinblick auf Wild nicht mehr kontrollierbar. Würde ich ihn einfach rennen lassen, würde das auf Dauer dazu führen, dass er wieder vermehrt hetzt, wieder regelmäßig diese Jagderfahrungen macht und all das bisher im Antijagdtraining Erreichte wieder den Bach runterginge.
Hintergrund meiner Überlegungen über Radfahren, Canicross, Reizangelspiel etc. war NIE, einen Ersatz für den Freilauf zu schaffen. Freilauf soll Rico haben und ich bin zuversichtlich, dass er in Zukunft noch stetig mehr wird frei laufen können. Mir ging es in diesem Thread darum, eine Möglichkeit für ihn zu finden, sich körperlich auszupowern, und zwar a) auf eine für mich kontrollierbare Weise, sodass ich ihn, falls nötig, vor sich selbst schützen kann, und b) auf eine Weise, die ihn mental möglichst wenig anstrengt / für die er möglichst wenig Impulskontrolle benötigt. Er scheint ganz offensichtlich das Bedürfnis zu haben, sich mal
nicht beherrschen zu müssen, und das möchte ich ihm ermöglichen.
Viele Grüße
Amica